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Matrix zwischen Zeit und Erfahrung

Tuesday, 23 September 2014

Ein Interview mit Roberta Maierhofer von Maximilian Tonsern

(11. Juni 2014, Vielfalt als Chance (http://www.vielfaltalschance.at/))

Roberta Maierhofer ist Leiterin des Zentrums für Interamerikanische Studien  an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie gibt in ihrem kommenden Vortrag für die nächste Veranstaltung der Vortragsreihe “Spannungsfeld gesellschaftliche Vielfalt” Antworten darauf, warum wir alle glauben, dass Menschen Umstellungen im Alter so schwer fallen. Ein Vorab-Interview über die falsche Auffassung von Alter und warum wir uns alle so schwer damit tun, alt zu werden.

 

Heutzutage ist die Auffassung von „Alter“ sehr differenziert. Man spricht von der Älteren, den Alten und den Hochbetagten. Sind sie alt?

Ja. Wir sind alle alt – zumindest haben wir ein Alter. Die Beschäftigung mit dem Alter oder Altern wird manchmal fälschlicherweise so gesehen, dass es nur „die Anderen“ betrifft. Es sind immer „die Anderen“, die alt sind.

Das Altern oder das Alter ist die Matrix zwischen Zeit und Erfahrung. Ich habe eine poststrukturelle Herangehensweise gewählt, das heißt also, dass ich davon ausgehe, dass man gleichzeitig jung und alt sein kann. Dass das eben auch etwas ist, wo wir unterscheiden lernen müssen. Ähnlich wie zwischen sex und gender. Denn die Biologie allein macht noch keine Aussage über die Identität eines Menschen, mit dem Aspekt des Alters ist kein Identitätsmerkmal verbunden. Ich habe nicht automatisch und stereotypenhaft eine gewisse Eigenschaft, nur weil ich jetzt ein gewisses Alter habe.

 

Das Thema des Vortrages, den Sie halten werden, wird sein, wie schwer den Menschen Umstellungen fallen, da sie sich gerade im Alter an Ritualen und Kontinuierlichem festhalten wollen. Warum ist das so?

Leben ist grundsätzlich ein Zusammenspiel von Kontinuität und Veränderung. Die Annahme, dass alte Leute sich verstärkt an Ritualen festhalten, ist meiner Meinung nach nicht richtig. Das wird so wahrgenommen, in dieser Zuschreibung der Eigenschaften für alte Menschen. Wenn man einen Körper sieht, der gealtert ist, nimmt man automatisch an, dass diese Person ein konservatives Weltbild hat, keine Veränderung wünscht und so weiter. Das stimmt aber nicht. In Wirklichkeit sieht man, dass im Alter, entgegen den vorgefassten Meinungen, nicht Einheit vorherrscht, sondern eine viel größere Diversität in Meinungen, Zugängen und Ansätzen.

Aber wir sind noch nicht geschult, das zu erkennen. Was wir brauchen ist eine Akzeptanz der zwei Aspekte “Kontinuität”und “Veränderung”. Denn die Welt verändert sich. Die Welt dreht sich. Wir leben alle mit Veränderungen. Und alte Leute, denen man zuschreibt, dass sie das nicht können, sind genauso in diesem Prozess drinnen und meistern das auch gut.

 

Ist die Besonderheit des Alters etwas Negatives? Nehmen wir als banales Beispiel einen Marathon, bei dem die Leistung eines 80jährigen, der den Lauf geschafft hat, als etwas Besonderes gefeiert wird.

Genau! Es ist kein Wert, alt zu sein, im Sinne von etwas Besserem. Es ist schön, dass jemand ein langes Leben lebt, das wünschen wir uns ja alle. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Jung sterben oder Altwerden. Deswegen sollten wir uns auch überlegen, was wir mit unseren Zuschreibungen machen.

Wo ich ihnen ganz zustimme: Sobald man diese Binarität hat, ist es eine hierarchische Beziehung. Entweder ist „Jung“ besser als „Alt“ oder man zollt dem 80jährigen, um beim Beispiel zu bleiben, Respekt und Bewunderung ob der Leistung. Und das ist eine gewisse Gratwanderung in all diesen Fragen, wenn man über die Emanzipation des Individuums über diese Zuschreibungen spricht.

Denn in Wirklichkeit ist ein junger Mensch sichtbar unsichtbar priviligiert. Man nimmt automatisch an, dass der junge Mensch eine Zukunft hat. Wir gehen davon aus, dass es eine Normierung des Lebens gibt. Wir wissen nicht, wann wir sterben – wir sagen „Irgendwann“. Aber wir glauben auch, dass wir das gut beurteilen können. Mein Sohn hatte ein Computerspiel, da musste er entweder alte Leute oder junge Kinder retten. Man nimmt die Kinder, weil die ihr Leben noch vor sich haben. Und das stimmt – aber es stimmt auch nicht. Wir müssen viel stärker lernen, mit dieser Ambivalenz zu leben.

 

Denken Sie, dass die heutige Gesellschaft das Altern und das Alter mit boomenden Fitnessstudios, Kosmetiksalons und der sogenannten Schönheitschirugie zu ignorieren versucht?

Es gibt eine verstärkte Wahrnehmung des Alters, die gewisse Ausformulierungen hat, man setzt sich damit auseinander. Und dann gibt es die Frage des Jung-Alt-Seins, und die Thematik, dass es nicht sichtbar sein darf. Diese Frage der Biogerontologie. Man kann schon alt werden, aber es soll niemand sehen. Ich glaube aber dass bei der Schönheitschirugie die Frage eines normierten Körpers die Grundlage ist. Die Tendenz, keine sichtbaren Zeichen der Alterung am Körper zu tragen, ist aufgrund der klaren gesellschaftlichen Verurteilung massiv gegeben.

Und auch gerechtfertigt. Wenn Menschen ihre Jobs verlieren, weil sie einen dynamischen Aspekt nicht mehr repräsentieren, nicht mehr in ihrer körperlichen Erscheinung mittragen. Da ist wieder ein viel stärkeres Umdenken und eine differenzierte Betrachtung gefordert.

Früher hat es auf Friedhöfen oft Bilder gegeben. Man hat gesehen, dass eine Person alt geworden ist. Das Bild war aber von einer jungen Person. Daran sieht man, dass wir dieses Gefühl, dass es einen Moment im Leben gibt, wo unser äußeres Erscheinungsbild unser inneres Selbst repräsentiert, in uns tragen. Man hat diese Illusion. Und deswegen tun wir uns auch alle schwer mit dem Alter – denn wenn der Körper sich dann verändert, hat man das Gefühl, dass man seine Identität verliert.

 

Maximilian Tonsern

Kindergartenpädagoge. Studiert Journalismus & bloggt bemüht. Twittert über Politik, Nahen Osten und Allfälliges. Folgen kann man unter @BlackBertl. Lesen auf Feuilletonsern.at.

 

Den Originalbeitrag finden Sie unter: http://www.vielfaltalschance.at/matrix-zwischen-zeit-und-erfahrung/

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